Egon Joeschke

Egon
Joeschke

26.12.1920
Groß Babenz
-
01.02.2008
Leidenhofen

stimmungsbild

Gedenkseite für Egon Joeschke

Egon Joeschke wurde im Winter am 26. Dezember 1920 in Groß Babenz geboren und starb am 01. Februar 2008 mit 87 Jahren in Leidenhofen. Er wurde im Tierkreiszeichen Steinbock geboren.

Als Kind hast du mich in deinen Bann gezogen
und ich hing an deinen Lippen,
wenn du Geschichten über deine Kindheit und Jugend
in Ostpreußen erzählt hast.
Nur mit deinen Augen und Worten
maltest du wundervolle Landschaften,
wenn du deine Gedanken und Gefühle
der üppigen, unberührten, unendlichen Natur
zum Ausdruck brachtest.
Schwer arbeitende, aber glückliche Familien
und deren Angestellte auf den großen Gutshöfen.
Weiden und Wiesen mit freundlichen, starken Pferden.
Ausritte, Jagden, Kutschfahrten an Sonn- und Feiertagen.
Wälder, so weit das Auge reichte.
Seen, die zum Baden einluden.
Ein Himmel, so hoch und klar.
Winter, so eisig und lang,
die Welt versank im meterhohen Schnee.

Wen wundert es, dass ich heute,
als erwachsene Frau, Familiensagas,
die den historischen Hintergrund des Landes Ostpreußens
in den Jahren des Ersten und Zweiten Weltkrieges beschreiben, liebe.
Dann fühle ich mich dir so nah,
was ich nie auszusprechen im Stande war.
Ich bin dir ähnlicher, als ich mir jemals eingestanden hätte.
Denn du hast meine politische und rechtliche Ansicht,
gegenüber dem Leben und den Menschen,
geprägt und geschärft.
Zuhören, Verstehen, Schweigen.
Sprechen und die Stirn bieten.
Geschichten von zwei Seiten betrachten.
Nicht mit der feigen, unterwürfigen Schafherde trotten.
Die Courage habe, alleine dazustehen.

Alleine stand ich da, als du die Kraft zum Leben verloren hast.
Oh, die Mitmenschen waren mit Ratschlägen und Worten ganz groß.
Die Hoffnung auf eine helfende Hand war nie geboren,
von Anfang an begraben.
Warum?
Weil ich genau wie du
immer als Außenseiter abgestempelt und belächelt wurde.
Warum?
Weil ich mich genau wie du
niemals den falschen Spielchen, der fehlenden Menschlichkeit
und der Oberflächlichkeit unterworfen habe.
Wir haben beide Fehler gemacht und uns oftmals falsch verstanden.
Ich schäme mich dafür und trauere,
dass ich das Elternhaus nicht halten konnte
und seit Jahren Euer Grab nicht besuchen konnte.
Der Schmerz, die Tränen und die Trauer sind allgegenwärtig.

Genau wie Mama sitze ich heute gerne am Küchenfenster,
genieße den Blick nach Draußen,
erlange dadurch Ordnung im Chaos der Gedanken und Gefühle.
Genau wie Ihr beiden liebe ich
Wälder und Wasser, die Natur, das Landleben. Landlust.
Genau wie Ihr beiden liebe ich
die Abgeschiedenheit, Einsamkeit, Ruhe und Stille.
Genau wie du gehe ich abseits allem stundenlang spazieren.
I enjoy the little things in the world.

Ich habe gelesen, gelernt und verstanden. Kriegskinder.

Ihr, die vergessene Generation.
Eine Generation, die nicht interessierte.
Wo sind die Erinnerungen?
Flucht, Hunger und das Vergessen.
Die verlorene Heimat, das zerstörte Zuhause.
Und immer wieder Überleben.
Ein letzter Brief.
Jungen weinen nicht.
Auch Mädchen weinen nicht.
Ausbruch. Aufbruch.
Die große Betäubung.
Ein Volk von Zerlumpten und Bettlern.
Schreckliches, aber auch Schönes.
„Als alter Mann werde ich glücklich sein.“
Eltern und Kinder sind sich fremd geblieben.
Eine unentdeckte, verschwiegene Welt.
Das Fehlen der Worte.
Das große Desinteresse.
„Kollektive Geheimnisse.“
„Eine traumatische Kultur.“
Wenn Überleben eine gemeinsame Identität stiftet.
Mit dem Schicksal Frieden schließen.
Vom Schweigen, Sprechen und Verstehen.

(aus „Die vergessene Generation“, Sabine Bode,
erschienen Klett-Cotta Verlag, Stuttgart)