Linda
Bergjürgen

Von Sophia 15.10.2020 um 22:45 Uhr | melden

Liebe Linda,

jetzt ist draußen schon wieder dunkle Nacht und dein Geburtstag neigt sich dem Ende zu. Ich komme leider jetzt erst dazu, dir zu schreiben, Zurzeit ist mein Alltag sehr anstrengend und strapaziert mich nervlich ziemlich. Heute war wieder so ein Tag, wo ich mich nach der Arbeit auf das Bett geworfen und geheult habe, nur weil eine Kleinigkeit nicht so lief, wie ich es mir vorgestellt habe. Und schon währenddessen habe ich mich so sehr dafür geschämt, wie mich etwas so runterziehen kann, wenn ich mich doch gleichzeitig daran erinnere, dass heute ein Mädchen Geburtstag hätte und diesen aber nicht feiern kann. Dass eine Familie heute vielleicht in fröhlicher Runde beisammen sein könnte, aber für immer auseinandergerissen wurde. Der Gedanke daran, dass du froh wärst, wenn du alles das erleben könntest, was ich erleben; und der Gedanke, wie lächerlich mein "Leid" ist im Vergleich zu dem unermesslichen Schmerz und der Sehnsucht, die deine Familie und Freunde aushalten, bringt mich auf den Boden zurück. (Ich möchte damit nicht sagen, dass ich einer so furchtbaren Katastrophe wie dieser damit etwas Positives abgewinnen kann, das finde ich eine sehr egoistische Sichtweise. warum solltest du sterben, nur damit andere ihr Leben wieder wertschätzen?)

Gleichzeitig frage ich mich in solchen schwierigen Momenten auch, wie oft du früher traurig oder wütend warst. Wenn man jetzt auf dein viel zu kurzes Leben schaut, schmerzt einen jede Träne, die du geweint hast, und jeder Moment, in dem du nicht lachen konntest. Denn für sowas war in deinem Leben eigentlich kein Platz oder hätte kein Platz sein sollen. Oft überlege ich mir dann, was du anders gemacht hättest, wenn du gewusst hättest, dass dein Leben mit 15 Jahren aufhört. Du hättest dich in der Schule nicht reinstressen müssen und mehr das machen, worauf du Lust hast. Es macht mich wütend und traurig, darüber nachzudenken, wie viel im Nachhinein so unnötig und sinnlos gewesen sein muss, wenn man gewusst hätte, was apssieren wird. Und gleichzeitig, liebe Linda weiß ich natürlich auch, dass es wohl gut war, dass man es nicht wusste. Und dass Tränen und Wut zu einem Leben auch dazu gehören, dass man es rückblickend vielleicht gar nicht missen möchte. Das wünsche ich mir so sehr, Linda, dass du jetzt, wenn du auf dein Leben zurückschauen würdest, sagen könntest: Ja, alles war richtig, so wie es war, zumindest im Großen und Ganzen.

Ich schreibe bewusst im Konjunktiv, denn auch wenn ich mir das immer so vorstelle, dass mannach dem Tod noch einmal sein Leben Revue passieren lässt, ist es doch wahrscheinlich ganz anders. Was du jetzt noch fühlst, denkst, mitbekommst, das wüsste ich zu gerne und niemand hat darauf eine Antwort. Wir wissen nicht, wo du bist, was du machst, wie es dir geht. Diese schreckliche Ungewissheit auszuhalten schmerz sehr, besonders an so einem Tag wie heute, an dem man dich so gerne glücklich und wohlbehalten wüsste.

Liebe Linda, heute habe ich dir ein bisschen anders geschrieben als sonst, aber ich hoffe du hast verstanden, was ich dir sagen möchte, nämlich dass du immer in meinen Gedanken bist und mein Herz um dich weint, ganz besonders an einem Tag wie heute.Ich weiß, du wirst es vielliecht nie lesen, aber wenn doch, dann möchte ich, dass du mitbekommst, wie sehr du geliebt und vermisst wirst.

Alle meine Liebe zu dir in den Himmel oder wo auch immer du sein magst, Linda!
Deine Sophia