Thomas Hamm

Thomas
Hamm

19.11.1958
Friesenheim
-
10.02.2021
Friedberg

stimmungsbild

Über Thomas (Hamm)

Liebe Dagmar, liebe Angehörige der Familie Hamm, liebe hier versammelte Gemeinde! Ich bin gebeten worden, als langjähriger Freund ein paar Worte über Thomas zu sagen.

Und das erste, wichtigste Wort für Thomas war: GOTT. – ER war DER tragende Grund, DIE Hoffnung seines Lebens.

Wie sehr er sich in diesem, dem christlichen Gott geborgen, beheimatet wusste, beweist ein sehr persönlicher Brief, den er am 25. Mai 2005 an Chiara Lubich, die Gründerin der Fokolar-Bewegung schrieb, am Vorabend seiner „definitiven“ Selbstverpflichtung in dieser Gemeinschaft:

"Vor vielen Jahren, schreibt Thomas, war ich fern von Gott und Kirche. Damals schien mir mein Leben vergleichsweise unbedeutend, ohne tieferen Sinn und Orientierung. Hinzu kam: Es war nicht immer einfach in meiner Familie. Wirkliche Gemeinschaft habe ich eigentlich erst im CVJM meiner Heimatstadt Friesenheim erfahren.
Hier lernte ich einen Gott kennen - und seine Liebe zu jedem Menschen. Ich begann, Verantwortung zu übernehmen – und so wuchs ich immer mehr in die Rolle eines Vermittlers oder Schlichters hinein: in der Beziehung zwischen uns Geschwistern, aber auch mit den Eltern.
- In jener Zeit spürte ich dann zum ersten Mal eine Berufung, die Einladung Gottes, ihm mein Leben zu schenken – vorbehaltlos, vertrauensvoll, angstfrei. Zunächst wollte ich Priester werden, weil ich dachte, nur so ließe sich die Wirklichkeit Gottes in die Welt tragen.
- Nach drei Jahren Theologiestudium in Deutschland wechselte ich dann nach Rom; hier lernte ich eine ungeheuer dynamische und junge geistliche Gemeinschaft kennen – die Fokolare - , deren frische Spiritualität und weltoffener Lebensstil mich sofort faszinierten. Mir wurde klar: Das Evangelium kann und will in jeder Lebensform gelebt und bezeugt werden.
- Das sprach mir sehr an – auch weil ich zu jener Zeit bereits an meiner Berufung zum Priester zweifelte - , warf zugleich aber neue Fragen auf: Wo ist mein Platz? Was will Gott von mir?
- Ein guter Freund – und weiser Mann – riet mir damals: „Lebe einfach Dein Leben – und Gott wird schon Wege finden, Dich verstehen zu lassen, was Er von Dir will!“ - Das war ein ungeheuer befreiender Satz für mich.
- Dann lernte ich Dagmar kennen und lieben. Von Anfang an war uns klar: Gott allein soll das Maß und die Mitte unserer Ehe sein, ein familiärer Raum, an dem für viele Liebe und Geborgenheit erfahrbar wird. So hat uns dieser Gott schließlich auch nach Ottmaring geführt, wo wir in der Gemeinschaft des Ökumenischen Lebenszentrums eine neue Heimat gefunden haben."
Soweit Thomas.

1991 sind auch wir beide uns schließlich hier in Ottmaring begegnet. Mein erster Eindruck von Thomas: ein hingebungsvoll, im besten Sinn des Wortes: selbst-vergessen Hörender, der das Wort, die Erfahrungen und Geschichten der anderen förmlich in sich aufzusaugen schien; Thomas war ein „Virtuose“ der ungeteilten Aufmerksamkeit; ein diskreter Gastgeber und Freund, der zu raten, zu ermutigen wusste, der aber auch einfach nur mit-schweigen, ja mit-weinen konnte.

Die Begegnung mit Dagmar, dieser zunächst etwas kapriziösen, durchaus auch „toughen“ jungen Frau, war schließlich eine weitere rettende Wendung in Thomas´ Leben: In ihrem mitreißend oder umwerfend pragmatischen Temperament, ihrer urkatholisch-rheinländischen Fröhlichkeit fand der ewige Grübler ein für ihn unbedingt heilsames Gegenüber. Kurz: Mit Dagmar schien sich für Thomas endlich wieder die Verheißung eines gemeinsamen Weges aufzutun.

Dagmar und Thomas haben verschiedentlich von den Anfängen ihres gemeinsamen Abenteuers erzählt; es ist eine wunderbare Geschichte – ganz großes Kino, bewegend, rührend, gelegentlich auch urkomisch: wie etwa an jenem verregneten Sonntagabend auf einem Bahnsteig des Kölner Hauptbahnhofs, kurz vor Abfahrt des Intercity, als er, Thomas, schon vom Zug aus - durch die sich immer wieder automatisch schließende Waggontür - der am Gleis stehenden jungen Frau endlich die Frage aller Fragen stellt, auf die sie ein ganzes Wochenende gewartet hat: „Willst Du mit mir gehen?“, und sie – wütend über dieses aus ihrer Sicht denkbar schlechte „timing“ – nur ein trotziges „Nein!“ zurück gibt; erst Monate später – ausgerechnet am Rande einer Hochzeitsgesellschaft - werden sich die beiden endlich ihre Liebe gestehen, ja mit einem ersten scheuen Kuss „besiegeln“ .

Die Geschichte von Dagmar und Thomas ist also auch diese Geschichte fast verpasster Chancen; eine Geschichte, deren besonderer Charme darin liegt, dass ihre beiden Hauptpersonen geduldig abzuwarten wissen, im Vertrauen auf die Regie eines Gottes, der die Liebenden - die längst ein Paar sind, ohne es zu wissen – gegen jede Wahrscheinlichkeit und mit beträchtlichem Einfallsreichtum an völlig unvermuteten Orten doch immer wieder zusammenführt.

Und so „gewöhnen“ sich die beiden – bei aller wachsenden Vertrautheit - doch nie aneinander, bleiben sie vielmehr „neu-gierig“ auf das Wunder des All-Täglichen, das sich immer wieder unter ihnen ereignet und jedem Tag seine besondere Note gibt. Persönlich hat mich von Anfang an die“ Ritterlichkeit“ beeindruckt, mit der Thomas seiner Frau – auch nach vielen Jahren - begegnet ist, seiner Treue zu einer „ersten Liebe“, die sich aus einer Sehnsucht speist, die in diesem Leben – und das wird gerade an einem Tag wie heute überdeutlich! – nicht zu stillen ist. Wenn Thomas über Dagmar sprach, auch nur – fast beiläufig – ihren Namen nannte, wirkte er immer noch verliebt - auch nach den 32 Jahren ihrer Ehe, nach so manchen, auch schmerzhaften Erfahrungen, persönlichen und beruflichen Rückschlägen, den dunklen Stunden und krisenhaften „Szenen einer Ehe“, die – natürlich! – auch ihnen nicht erspart geblieben sind.

„Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz“, heißt es im biblischen Hohelied Salomos, einem in seiner erotischen wie geistlichen Intensität beispiellos kühnen Text, „und wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod, … Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des HERRN, dass auch viele Wasser sie nicht auslöschen können“. (Hld 8,6-7)

Was das bedeutet, zeigt die kunstvoll gearbeitete Fassung ihrer Eheringe, die 3 Erhebungen aufweist: für Dagmar, Thomas und Gott - der Dritte in ihrer Mitte. Aus dieser Gemeinschaft heraus öffnet sich ihr Haus für die anderen, die „Freunde“ und die „Fremden“. Deutlich wird das im gemeinsamen – jahrzehntelangen - Engagement von beiden für das weltweite Projekt „Wirtschaft in Gemeinschaft“: einer innovativen – vom Geist des Evangeliums getragenen – Unternehmenskultur, die auf der Solidarität mit den Bedürftigen und einem christlichen Ethos wirtschaftlichen Handelns basiert.

In dem bereits zitierten Brief an Chiara Lubich schreibt Thomas weiter:
"Ich fühle mich dem heiligen Thomas, meinem Namenspatron, den man ja auch den „Ungläubigen“ nennt, sehr verwandt. Auch ich will nur das glauben, was ich sehe. Oft versinke ich in quälende Selbstzweifel, Ungewissheiten aller Art. Doch dann fällt mir immer wieder jener Stoßseufzer, jenes Stoßgebet ein: „Mein Herr und mein Gott!“ Gerade im Blick auf die Irrungen und Wirrungen meines Lebens habe ich doch immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ich von Gott bejaht und geliebt bin – mit all meinen Grenzen. Gerade meine Schwächen können schließlich ein Geschenk sein, mit dem ich andere auf ihrem Weg ermutige. Ich habe den Wunsch, in Zukunft vertrauensvoller mit Gott zusammenzuarbeiten. Denn dieser Gott versichert mir: „Meine Kraft zeigt sich in Deiner Schwäche!“ - Dagmar und die Gemeinschaft mit meinen Brüder im Fokolar helfen mir sehr dabei, den Blick für diese Wirklichkeit zu bewahren."

So hat Thomas in den letzten Jahren immer bewusster, ja selbstbewusster mit seinen Schwächen gelebt, hat er sich Tag für Tag neu dem Wagnis des Aufbruchs gestellt hat – hinaus aus der eigenen „Komfortzone“, hin zu Gott und den Menschen.
- Ein Sinnbild dafür waren die ausgedehnten Spaziergänge, die er nach Möglichkeit täglich unternahm; oder die Fahrradfahrten zur Arbeit – frühmorgens, da noch ein geheimnisvoller Glanz über der Welt lag, alles noch möglich schien, vielversprechend, verheißungsvoll; und schließlich die Radtouren – an der Seite von Dagmar – in den Ferien, die sie in den letzten Jahren an der Nordsee verbrachten, in Ostfriesland, DER unangefochtenen Sehnsuchtslandschaft für beide: Hier wollten sie noch einmal Heimat finden. Auf diesen Fahrten lösten sich für ihn mentale und physische, mitunter auch geistliche Verspannungen, tauchte er – im Bild gesprochen - wieder ein in den freien Fahrtwind, jene frische Brise, die ihn durch jede düster und drohend lastende Gedankenschwere einfach hindurchtrug, ja hindurchfliegen, eine neue Leichtigkeit und Bewegungs-Freiheit finden ließ.

Am 22. Januar hatte er mir noch einen 17-sekündigen, mit dem Smartphone aufgenommenen Clip als Gruß vom Meer geschickt (mit der ironisch knappen Textzeile: „Auf Geschäftsreise: Hausbesichtigung in Norden“).
Gerade weil es mein letztes, das „Abschieds“-Bild des Freundes ist, spricht es für mich von jener Weite, nach der sich Thomas ein Leben lang gesehnt hat: Der Schwenk mit dem Smartphone über die raue Nordsee, deren Wellen sich an der Hafenmole brechen, fängt die Stimmung eines besonderen, „gegenwärtigen“ Augenblicks ein, an dem er mir Anteil geben wollte; ein Augenblick, der geradezu „vibriert“, weil sich in diesem grandiosen Ausblick auf das Meer Himmel und Erde nahe kommen, berühren, ja ineinander aufgehen.

Dieses letzte Bild hatte ich wieder vor Augen, als ich dieser Tage den allerersten – handgeschriebenen - Brief von Thomas an Chiara Lubich – vom 8. April 1983 – lesen durfte.
In ihm beschreibt Thomas seine Entdeckung des „gegenwärtigen Augenblicks“, dessen Bedeutung ihm in der Begegnung mit dieser Spiritualität erstmals klar geworden sei:
"Ich habe verstanden, dass einzig das Leben im gegenwärtigen Augenblick zählt. Ich hoffe, dass es mir so immer mehr gelingt, die Türen und Tore meines Herzens weit zu machen, sie auf Christus und all die zu öffnen, denen ich begegne!"

Ich denke, dieser Wunsch hat sich für Thomas erfüllt. Das zeigen die dramatischen Umstände am späten Nachmittag des 10. Februar, als er gänzlich unerwartet und mit ungeheurer Wucht jäh aus dem Leben gerissen wurde. Doch Thomas war in gewisser Weise wohl auch „bereit“, vor-bereitet: Denn er hat ein Leben lang versucht, sich und sein Herz zu öffnen – für jenes Geheimnis des gegenwärtigen Augenblicks, für jene Ankunft, jenes unvorhersehbare, fast brutale Herein-Brechen Gottes im Hier und Jetzt.

Danke, Thomas, für dieses Beispiel Deines Lebens, Deines unbeirrten Glaubens an einen Gott, der Liebe ist - und für Deine Freundschaft, die Dich für immer mit uns verbindet.
Danke, Thomas, denn – um es mit den Worten von Herbert Grönemeyer zu sagen - : „Du hast ihn nie verraten, Deinen Traum vom Glück!“

St. Michael, Ottmaring, 16-02-21 , Herbert Lauenroth