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von Michaela Schuster am 20.07.2014 - 12:01 Uhr | melden
Wie die Seele zu ihrem schwarzen Kleid kam
Es war einmal eine Seele. Sie wohnte in einer ruhigen Straße am Rande einer großen Stadt.
Eines Tages nun geschah es, dass der Seele ein furchtbarer Schicksalsschlag widerfuhr: Ein Blitz schlug in ihr Haus ein. Im ersten Schreck duckte sich die Seele, kauerte in sich zusammen und verharrte so eine ganze Weile. Erst nach einer geraumen Zeit schaffte sie es mit letzter Kraft, sich aufzurichten und umzusehen. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass alles zerstört war, was sie sich im Laufe ihres Lebens erarbeitet hatte. Seltsamerweise war das Haus über ihr stehen geblieben, aber in seiner Inneren war alles leer. Sie besaß nichts mehr – nicht einmal ein Kleid am Leibe.
Es dauerte nicht lang, da erschien eine Nachbarin bei ihr. Es war die Trauer – sie wohnte im Haus links neben ihr, aber bisher hatten sie kaum Kontakt miteinander gehabt. Ohne zu fragen trat diese in ihr Haus, reichte ihr ein Kleid und sagt: „Hier, zieh das an, es wird dir passen.“ Und ohne ein weiteres Wort verschwand sie wieder. Da die arme Seele ja nun gar nichts mehr besaß, nahm sie das Kleid dankbar an und streifte es sich über. Es war sehr dünn und sie fror darin. Auch passte es ihr nicht wirklich, doch das bemerkte die traurige Seele nicht. Sie bemerkte nicht einmal, dass es sich um ein tiefschwarzes Kleid handelte. Es war ihr auch egal, denn sie spürte, dass dieses schwarze Kleid von nun an für lange Zeit ihr einziger Besitz sein würde. So trug sie es tagein, tagaus.
Nur mühsam verging die Zeit. Die traurige Seele bekam von dem Leben außerhalb nicht viel mit. Sie hockte in ihrem Haus, starrte vor sich hin und konnte einfach nicht fassen, was geschehen war. Immer wieder dachte sie an all die schönen Dinge, die sie einmal besessen hatte. Alles, aber auch alles war verloren. Und sie fror.
Doch alles Jammern und Wehklagen half nicht. Die traurige Seele wusste, dass sie sich, wenn sie überleben wollte, ein neues Zuhause aufbauen musste. Nur mit großer Mühe schaffte sie es, sich auf das Nötigste zu konzentrieren. Ihre Hände verrichteten die notwendigen Dinge, doch in Gedanken war sie ganz weit fort - in der Vergangenheit. Die Sehnsucht dorthin war unermesslich.
Eines Tages klopfte es an der Tür und wieder stand eine Nachbarin vor ihr. Diesmal war es die Freude. Sie wohnte rechts neben ihr und früher einmal waren sie gute Freunde. Doch nun konnte die traurige Seele mit der munteren und lebensfrohen Freude nichts mehr anfangen. Sie spürte, dass sie nichts mehr verband. Und so verließ die Freude sie wieder.
Mit großer Anstrengung schaffte es die traurige Seele, sich in ihrem Haus wieder ein wenig einzurichten. Sie besaß nicht viel, aber es reichte um zu überleben. Sie bemerkte mit der Zeit, dass ihr die wenigen Dinge, die sie besaß, sehr am Herzen lagen und jedes einzelne von ihnen ihr etwas bedeutete. Sie hatte kaum Kontakt zu anderen Menschen. Einige, mit denen sie sonst gerne verkehrt hatte, waren ihr fremd geworden. Wieder andere hatten sich nach dem schrecklichen Ereignis nicht mehr bei ihr gemeldet. Nur die Trauer war ein häufiger, meist stiller Gast. Mittlerweile kannte man sich gut. Aber das Merkwürdigste in dieser Situation war, dass einige wenige Menschen, die selbst von einem Schicksalsschlag betroffen waren, ihr am meisten halfen. Diese Menschen besuchten sie, sprachen mit ihr und taten ihr gut. Nach jedem dieser Besuche hatte die traurige Seele das Gefühl, als habe man ihr ein Geschenk dagelassen, so dass sich nun ihr neues Zuhaus nach und nach mit diesen neuen, anderen Dingen füllte.
Die Zeit verging. Und mit der Zeit schaute die traurige Seele auch hin und wieder aus dem Fenster. Zu ihrer Rechten, dort wo die Freude wohnte, war es hell und sonnig. Manchmal schaute sie neidvoll hinüber, denn in ihrem Haus war es noch immer kalt. Aber oft genug zog sie sich dann erschrocken zurück: „Nein“ dachte sie „diese Seite des Lebens ist für mich nun vorbei.“ Doch die Freude, die sehr wohl das Geschehen in ihrem Nachbarhaus verfolgt hatte, lächelte sie immer wieder freundlich an. Sie sprachen nicht miteinander, aber manchmal kam die Freude herüber und zeigte der traurigen Seele einige schöne Dinge. Zuerst nur von Weitem durch das geschlossene Fenster, doch mit der Zeit kam sie immer näher heran. Jedesmal brachte sie schöne Bilder mit. Und die traurige Seele ließ es zu.
Eines Tages nun überreichte ihr die Freude ein Geschenk. Es war eine Halskette aus lauter bunten Perlen. Erschrocken wich die Seele zurück. Sie war entsetzt. So etwas Farbenfrohes sollte sie tragen? Nein, das würde wohl nie wieder möglich sein. Lange Zeit wollte die traurige Seele nun nicht mehr, dass die Freude sie besuchte. Doch diese gab nicht auf. Immer wieder kam sie zu ihr, zeigte ihr Bilder oder brachte eine Kleinigkeit mit - mal Blumen, mal einen Scherz, ein Lachen. Man versöhnte sich. Doch wenn die Freundin aufmunternd sagte, sie solle die bunte Kette tragen, dann wehrte die traurige Seele ab und wurde noch trauriger. Sie trug das schwarze Kleid noch immer. Es war zwar schon sehr dünn und verschlissen, doch es war ihr wie eine zweite Haut geworden. Sie fror sehr häufig. Wahrscheinlich würde es für den Rest ihres Lebens kalt bleiben.
Eines Tages nun geschah es. Die Freude überreichte der traurigen Seele wieder ein Geschenk. Skeptisch öffnete diese das Paket und was sie dort vorfand verwunderte sie sehr. Es war ein großer bunter Schal. „Überlege es dir gut“ sagte die Freude liebevoll zu ihr „Bevor du es ablehnst, bedenke, was das für dich bedeuten wird. Dieses Tuch könnte dich wärmen. Du würdest dich besser fühlen und wenn dir danach ist, dann kannst du es zur Seite legen.“ Die traurige Seele überlegte kurz. Wollte sie wirklich nie wieder etwas Farbe an sich heran lassen? Wollte sie wirklich immer nur traurig sein und frieren?
Vorsichtig legte sie sich das Tuch um die Schultern. Es war warm und weich und es leuchtete in den schönsten Farben. Sie spürte die Wärme. Wie gut ihr das tat. „Ja“ sagte die Seele zur Freude „ich möchte das Tuch behalten. Ich werde es ebenso tragen wie das schwarze Kleid. Doch nun wird mein Leben nicht mehr ganz so dunkel und kalt sein.“ Die Freundinnen lächelten sich an.
Still dachte die Freude bei sich an das bunte Kleid, dass sie bereits für die Seele bereitliegen hatte. Eines Tages würde sie es ihr schenken. Irgendwann einmal - wenn die Zeit dafür gekommen war.
Helga Schlüß