Michael Tiepold

Michael
Tiepold

29.09.1959
Kaiserslautern
-
04.04.2013
Gelves bei Sevilla

stimmungsbild

Gedenkseite für Michael Tiepold

"Des Nachts auf meinem Lager suchte ich, den meine Seele liebt. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht."
(Hohelied 5.6)
Eines der letzten Konzerte, die Michael spielte, war "Ich suchte, aber ich fand ihn nicht" von Georg Friedrich Haas, in der Kirche St. Michael in München.

"Wenn im Ruhrgebiet eine Totenfeier stattfindet, dann isst man erst Streuselkuchen und Kaffee, dann ab in eine Kneipe, alle besaufen sich und lachen und erzählen sich lustige Geschichten des Verstorbenen."
O-Ton Michael, in einer E-Mail von Anfang Februar

Lieber Michael, da du auf See bestattet wurdest, gibt es kein Grab, wo man dich besuchen und innerlich mit dir reden könnte.
Deshalb soll diese Seite hier ERINNERUNGEN an dich zusammentragen. Nicht nur meine, als dein wohl ältester Freund, sondern Erinnerungen von allen, die dich kannten und mochten. Das "Kondolenzbuch" soll ein "Erinnerungsbuch" sein, in das jeder hineinschreiben kann.
Denn du fehlst uns, aber indem wir an dich denken, lebst du weiter.
Schön wäre es, wenn jeder, der diese Gedenkseiten liest, DICH darin WIEDERFINDET.



MUSIK, die Michael mochte:

„Ars Melancholiae“, Lautenwerke von Silvius Leopold Weiss, gespielt von José Miguel Moreno (Bei einem Konzert in München mit Werken von Pierre Boulez vor einigen Jahren spielte er mir Ausschnitte auf dem mp3-Player vor und schickte mir ein paar Tage später eine selbst gebrannte CD)

„Vigilia“ von Wolfgang Rihm (eines seiner letzten Konzerte; im Juni 2012 in München; wir trafen uns einen Tag vorher im Café Kreutzkamm und er erklärte mir das Stück, das ich nicht kannte, sehr ausführlich und begeistert, sodass ich vermute, dass er es sehr mochte)

Die "Jupiter-Symphonie" von Mozart (von ihr schwärmte er seit je; und Anfang Oktober 2012 schrieb er mir aus Baden-Baden: "Habe schon neue Angebote, hier zu spielen, das nächste Mal die Jupitersinfonie von Mozart, da freue ich mich richtig drauf."

"Prometeo" von Luigi Nono, unter Ingo Metzmacher (Michael spielte selbst mit bei den Salzburger Festspielen 1993 (Ich weiß noch; wir saßen vor der Aufführung im Café Tomaselli, Michael erzählte mir und Sabine einige Hintergründe dieses Stücks und dass die Texte von Bruno Ganz gesprochen werden würden, wir schauten aus dem Fenster und da ging draußen gerade Bruno Ganz vorbei.)

Musik, die Michael als Jugendlicher auf dem Kassettenrekorder hörte, wenn wir uns am „Fisch“ auf dem Spielplatz trafen, bis wir von den Müttern reingerufen wurden:
Santana; José Feliciano; Al Jareau; Roberta Flack (“Killing me softly with his song”); Elton John (“Goodbye, Yellow Brick Road”)
(Auf einer seiner Kassetten hatte Michael auch “We had joy, we had fun, we had seasons in the sun” von Terry Jacks. Doch wenn das Lied kam, spulte er meistens schnell weiter.)





VIDEOS auf YouTube, in denen man Michael sehen kann:

Georg Friedrich Haas | „Ich suchte, aber ich fand ihn nicht“ (2011) | Ensemble MusikFabrik



Die FOTOS hier auf dieser Seite unter BILDER:

Michaels Schiff "Luna"

Drei Fotos des Fotografen Klaus Rudolph. - Von ihm stammt auch das Porträtfoto; weitere Fotos von Michael bei Proben und Auftritten siehe:
http://www.klausrudolph.de/cgi-bin/ImageFolio4/imageFolio.cgi?direct=Tiepold_Michael

Klassenfoto 1966 (Michael 4. von rechts in der 2.Reihe, hinter dem Mädchen mit Sonne oder Steuerrad auf dem Shirt)

Tag unserer Einschulung (Michael rechts)

Foto mit Kinderwagen (Michael zehn Monate, ich fünf Monate)

Michael im Granada Kammerorchester (1989) (Schwarz-Weiß-Foto, zur Verfügung gestellt von Rafael Fernandez Viedma)

Michael gemeinsam mit seinem Vater (Foto von Anfang der 80er Jahre, zur Verfügung gestellt von Willibald Tiepold)






BÜCHER, die ihm viel bedeutet haben (früher oder in letzter Zeit):

Als Jugendliche verschlangen wir die Bücher von Johannes Mario Simmel. Michael mochte besonders „Und Jimmy ging zum Regenbogen“ und „Es muss nicht immer Kaviar sein“ (Letzteres ist ein Agententhriller, gespickt mit sehr exquisiten Kochrezepten; Michael behauptete später mal, er hätte alle darin nachgekocht; ich traue es ihm zu)

„Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier (Michael wollte immer mal wieder Buchtipps von mir. Als er in Granada lebte, schickte ich ihm Bücherpakete. Mit manchem darin lag ich ziemlich daneben. Doch „Nachtzug nach Lissabon“ las er in einer einzigen Nacht durch und schwärmte mir immer wieder davon vor.)

Kriminalromane von Don Winslow (Michael empfahl sie mir in einem unserer letzten Telefonate)

„Die Lehren des Don Juan“ und andere Bücher von Carlos Castaneda (Michael las sie als Jugendlicher und zitierte noch Jahre später daraus).

Bücher von Hermann Hesse (besonders "Siddhartha" und "Narziss und Goldmund" hat er mehrmals gelesen).

"Das Spiel des Engels" von Carlos Ruiz Zafon (Michael las es auf Deutsch und hatte vor, es auch auf Spanisch zu lesen, um sein Spanisch zu verbessern)




Michaels berufliche VITA

Erster Unterricht mit fünfzehn Jahren.
Mit sechzehn Jahren Jungstudent bei Günter Klaus an der Musikhochschule Würzburg, Aufbaustudium bei Michinori Bunya und
Meisterkurs bei Franco Petracchi.
Ableistung des Wehrdienstes beim Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg.
Seit dem zwanzigsten Lebensjahr regelmäßig Engagements in verschiedenen Orchestern, etwa beim Rundfunkorchester des Südwestfunks Kaiserslautern, des Saarländischen
Rundfunks und des Hessischen Rundfunks.
Ab 1989 Solobassist beim Granada Kammerorchester.
1991 Gründung des Streicherensembles Ensemble Innovación, hervorgegangen aus dem Ensemble 5, einer Tangoformation und des Trios La camera di Tiepolo.
Mehrere Jahre Mitwirkung beim Ensemble Modern, danach langjähriges Mitglied des Ensembles musikFabrik




PLÄNE, von denen Michael in letzter Zeit schrieb

"Den Camino de Santiago zu gehen, der von Sevilla aus 1000 km nach Norden geht und Ruta de la Plata heißt, eine uralte aus römischen Zeiten stammende Route. Aber meine Knie werden das nicht mitmachen. Aber von diesem Weg, wenn ich ihn mache, erhoffe ich mir Kraft, Willen, und Wissen, was ich will. (Alternativ könnte ich ihn segeln. Aber gegen den portugiesischen Norder ist nicht leicht anzukommen.)"

"Mein Masterplan ist, viel üben, wieder einen Wohnsitz in Deutschland finden (evtl. auch KL). Sagen, hallo ich bin zurück, in die freie Szene wieder einsteigen, meine Kammermusikgruppe gründen ... So. Hoffe, es wird mir gelingen."

"Für meine Kammermusikgruppe (...) fehlt noch eine sehr gute Geige, bin auf der Suche. Hoffentlich finde ich bald jemanden, mir juckt es richtig unter den Fingernägeln an diese Kiste endlich ranzugehen." (4.11.12)

"Vor vielen Jahren haben wir mal davon geträumt, gemeinsam eine Oper zu erschaffen.
Jetzt bin ich schon eine ganze Weil immer wieder darüber am Nachdenken (...)
Musik, aber nicht nur Tango, sondern alles was abgefahren ist, Tanz, Sprecher, Pantomime, Texte, (...)
Ich habe die Komponisten und die Musiker an der Hand, wüßte wo ich die Tänzer finden könnte (zeitgenössischer Tanz).
Aber es braucht eine Story, oder zumindest einen Faden, eine Orientierung, die man mit Arbeiten und Improvisieren ausfüllen kann." (7.10.12)

"Muß neue Wege gehen, und das ist schwer, aber noch nicht zu spät. Wir sind noch jung, Frank, ein nicht unwesentlicher Teil unseres Lebens liegt noch vor uns."



WEISST DU NOCH? - Telegramm unserer ersten zwei Jahrzehnte

Bevor wir Fahrrad fuhren, fuhren wir Roller. Du hattest einen roten, ich einen grünen. Mit Luftreifen und Gepäckträger. Damit konnten wir durch die ganze Siedlung der BauAG in der Alex-Müller-Straße patrouillieren. Von unserm Küchenfenster (Nr.22, Erdgeschoss) sah man hinüber zu euerm Balkon im Parallelhaus (Nr.30, 4.Stock). Nach den Rollern bekamen wir Fahrräder. Ein richtiges Bonanza-Rad konnten wir uns nicht leisten. Aber mit Zubehör (Bananensattel und Harley-Lenker) sahen unsere Räder wenigstens ungefähr so aus.
Eingeschult wurden wir in der Maxschule (alt, noch Tintenfassvertiefungen in den Schulbänken), schon nach ein paar Monaten kamen wir in die nagelneue Theodor-Heuss-Schule (modern, hell, Vierertische, die Tiernamen hatten). Unsere Klassenlehrerin hieß Frau Wannenmacher. Wir schwärmten beide für Tatjana aus unserer Klasse, holten uns blutige Knie beim Versuch, ihr unter den Rock zu schauen.
Ab der Fünften gingen wir auf zwei verschiedene Gymnasien, du aufs Rittersberg, ich aufs Hohenstaufen, in der Folge verschiedene Freundeskreise. Trotzdem trafen wir uns fast täglich auf der Bank am Paul-Münch-Brunnen in der Siedlung, gaben unser Taschengeld aus für Ritter-Sport Rum-Trauben-Nuss, Paprika-Sticks, Capri, Dolomiti, Cornetto, Nogger. Manchmal „erbeuteten“ wir was in diversen Kellern, eingemachtes Obst oder auch mal eine Flasche Wein. Und immer noch "besorgten" wir uns in der Nacht vor Muttertag Tulpen und Flieder für unsere Mütter. An Sommerabenden spielten wir Völkerball mit den Kindern der ganzen Siedlung zwischen den geparkten Autos der Mieter. Da waren auch schon die beiden Petras mit dabei (die eine zog bald weg, die andere wurde für viele Jahre deine Freundin und Gefährtin). Kartenspielen im Café Schwonke, wo es donnerstagabends selbst gemachte Pizza gab und wir Poker spielten, um Pfennige, aber wie die Kerle in den Filmen ... Musikhören auf dem "Fisch" (ein Spielgerät, eine aus einem mächtigen Baumstamm gesägte Astgabel, auf der man herumklettern oder herumlungern konnten). Schwimmengehen in der Waschmühle (ein Waldbad mit Umkleidekabinen, deren Wände übersät waren von Gucklöchern). Silvesterfeiern im Hobbykeller von Beates Eltern. Wochenenden auf euerm Segelschiff am Waldsee. Einmal wegen Windstille mit kleinen Paddeln das Schiff stundenlang zurück zum Yachthafen rudern. Ungezählte Gespräche über Erziehung, Selbsthypnose, Mädchen und ihre Anatomie, wie man Geld machen könnte (buchstäblich, nämlich Münzen gießen).
Nach dem Abi fuhren wir spontan (eine Vormittagsentscheidung auf euerm Balkon) und praktisch ohne Geld mit deinem weinroten R4 für eine Woche nach Spanien. Mit dem Abi war unsere Schulzeit zu Ende, aber noch lange nicht unsere endlos lange Jugend ;-)




Michaels WG-Zeit 1983/84 in Offenbach (Erinnerung von ESKO):

"Ich hatte mit Michael und F. eine Bassisten- WG in Offenbach. Ich war ziemlich frisch aus Finnland und vieles in "Europa" war neu oder anders für mich.

Vor allem das Essen war viel besser. Michael hat mich zum Kochen und Weintrinken geführt, was ich seitdem sehr in meinem Leben genossen habe. Wir machten Weinproben bei einem Laden oder Muschelpartys mit riesigen Tafeln Muscheln.

Da wir 3 Bassisten unter einer Telefonnummer waren, wurden wir auch bald zu einer Art Muggenzentrale. Wenn jemand einen Bassisten brauchte, wurde bei uns angerufen, und sehr wahrscheinlich konnte einer von uns oder wir leiteten die Mugge weiter. Ein Machtgefühl war das...

Ein Thema war damals der Job als Bassist. Michael wollte nicht unbedingt ins Orchester, er wollte die Freiheit. Ich hingegen meinte Sicherheit durch den Orchesterjob zu finden und dann dadurch Freiheit genießen zu können. Seitdem verfolgten Michael und ich gegenseitig unsern Weg (...) und wir tauschten ab und zu Informationen über Kammermusikstücke, die er mit kleineren Ensembles spielen könnte.

Als die Nachricht von seinem Tod kam, hat es mich fast getröstet, dass es ein Unfall war. Es ging ihm gut, er war im Boot, alles war OK, anstatt vielleicht lange krank sein im Krankenhaus."





LUNA - Deine ganz persönliche Utopie

Vermutlich hast du alle, die dich kannten, sehr verblüfft, als du dir vor einigen Jahren plötzlich ein Schiff kauftest. Jahrzehntelang hattest du davon geträumt, mindestens seit den frühen Achtzigern sprachst du nicht nur von musikalischen Projekten, sondern auch von einem eigenen Boot. Es gab kein gemeinsames Abendessen, kein Telefonat, ohne dass du das Gespräch irgendwann in dieses Thema münden ließest. Es war deine ganz persönliche Utopie. Genauso sehnsuchtsbesetzt, genauso unerreichbar wie eine Utopie.
Es ging dir bei diesem Traum ums Segeln, ums Auf-dem-Wasser-Sein, ums Auf-dem-Schiff-Leben. Mal warst du in diesem Traum Musiker, und das Schiff war der Ort, wo du deine gesamte Freizeit verbrachtest. Mal war das Schiff dein alleiniger Lebensmittelpunkt, eine Existenzform, die es dir ermöglicht hätte, fast ausschließlich auf dem Meer zu sein. Natürlich irgendwo im Süden, wo es immer warm oder heiß ist. Oft sagtest du, dass Deutschland sowohl klimatisch als auch von der Mentalität her nicht dein Land sei, tief drinnen seist du eigentlich ein Südländer.
Da auch Träume in sich logisch sein müssen, dachtest du über Wege nach, wie das Leben auf dem Schiff finanziert sein könnte. Eine Idee war, Segeltouren zu veranstalten, fünf, sechs zahlende Gäste, möglichst nur nette Leute, mit denen es auch Spaß machen würde, abends für sie zu kochen oder in einem Hafen zu liegen und mit ihnen essen zu gehen. Eine andere Idee war, in einer schönen, abgelegenen Bucht ein kleines Restaurant aufzumachen und die in der Bucht ankernden Yachten mit Proviant und Material zu versorgen. Das alles nur für ein paar Monate pro Jahr, die restliche Zeit wärst du dein eigener Herr.
In Variationen hast du diese Träume immer wieder neu entwickelt ... es waren sehr viele Variationen, doch im Grunde immer wieder derselbe Traum. Die Jahre vergingen und aus den Jahren wurden Jahrzehnte. Zwar lasest du Bücher über das Meer, Berichte von Weltumseglern, hattest die Zeitschrift „Yacht“ abonniert, suchtest im Internet Annoncen, in denen gebrauchte Segelschiffe angeboten wurden. Doch es kann sein, dass deinen Traum schon keiner mehr richtig ernst nahm, weil du ihm ja kein Stück näher kamst.
Ja, und dann – es war im Jahr 2005 - hattest du plötzlich ein Schiff. Ich dachte, ich höre nicht recht. Es war einfach unfassbar: Michael macht Ernst. Ein Anfang war gemacht. Ein riesiger Schritt. Ein alter Sponti-Spruch fiel mir ein: „Es gibt nix Gutes – außer man tut es!“ Draußen liegt der Strand, man muss nur endlich aus dem Haus gehen...
Doch ein Schritt ist erst mal nur ein Schritt. Dein Schiff (eine etwa zwanzig Jahre alte "Dehler Optima", knapp 10 m lang und 3 m breit) lag im Südwesten der Niederlande, im sogenannten Zeeland am Haringsfliet, oberhalb der Oosterschelde... Du gabst ihm den Namen "Luna" und holtest es in die Nähe von Köln ... verbrachtest viel Zeit darauf. Auch bei Kälte im Winter. Arme „Luna“, so weit weg vom Mittelmeer. Doch wie bringt man eine Segelyacht, die in einem Rheinhafen dümpelt, ins Mittelmeer? Per Anhänger über die Autobahn kam für dich nicht infrage. Die Atlantikküste entlangsegeln ging nicht. Diese Route war zu rau und es fehlten dir spezielle Segelscheine und Erfahrung. War dir und deinem Traum vielleicht schon die Puste ausgegangen?
Doch nein, nach und nach hast du die fehlenden Hochsee-Segelscheine gemacht, im Selbststudium und in Praxis-Kursen auf den Kanarischen Inseln.
Trotzdem schien es dir richtiger, das Schiff auf dem Binnenweg, auf kleinen Wasserstraßen zum Mittelmeer zu bringen. Du nahmst dir einige Wochen frei und fuhrst die „Luna“ über kleine Flüsse und Kanäle und Hunderte von Staustufen Richtung Frankreich, Richtung Rhone. Dort auf dem breiten und stark befahrenen Fluss wurde es dann richtig abenteuerlich, starke Strömung, große Schiffe, man muss extrem wachsam sein und schnell reagieren, denn die Selbststeueranlage ist nichts für Flüsse. Manchen Tag standst du zehn, zwölf Stunden am Steuer. Alles, was man braucht, hattest du neben dir und zu deinen Füßen: Essen, Getränke, Zigaretten, dein Klo war die Reling...
Als du etwa fünfzig Kilometer vor der Mündung der Rhone ins Meer warst, legtest du eine Pause ein. Ich weiß nicht mehr – war die eingeplante Zeit zu Ende, musstest du aus beruflichen Gründen zurück nach Deutschland? Oder hattest du etwas Angst vor der eigenen Courage bekommen? Immerhin warst du ganz, ganz nah an der Verwirklichung deines Traumes, kurz davor, mit einem eigenen Schiff ins Mittelmeer einzulaufen. Da würden neue Herausforderungen warten, die den Traum sofort auf die Probe stellen würden. Die „Luna“ musste hochseetauglich gemacht werden. Ein bezahlbarer Liegeplatz gefunden werden. Und und und. Bestimmt warst du auch ungeheuer erschöpft. Du hättest sehr stolz sein können auf den zurückgelegten Weg, doch ich glaube mich zu erinnern, du warst erst mal kein bisschen euphorisch.
Dein eigentliches Ziel war Spanien, Andalusien, aber du hattest dein Schiff sagenhafte 2000 Kilometer weit bewegt, es war ungeheuer anstrengend gewesen und der weitere Weg würde nun übers offene Meer führen. Dafür wolltest du dir Zeit lassen und neue Kraft sammeln. Für längere Zeit lag dein Schiff nun in Südfrankreich unweit von Marseille, meist im Wasser, phasenweise war es auch aufgedockt, um Reparaturarbeiten daran vorzunehmen.
Du und deine Luna, ihr wart endlich am Mittelmeer, im vielgerühmten Licht Südfrankreichs. Die Sommer dort hast du sehr genossen, die Winter weniger, immerhin bläst dort der sehr unangenehme Mistral. Kein Wunder also, dass es dich weiter südwärts zog. Die Wärme, die du suchtest, versprachst du dir erst im Süden Spaniens zu finden.
Den Aufbruch dorthin hast du mehrmals verschoben.

Und dann, im Frühjahr 2010, war es so weit. Du brachst auf Richtung Süden.
Am 11.Mai schriebst du mir aus Aguilas:
“(...) ich bin am Ziel, nicht das was ich geplant habe - Almeria - aber ich bin in Aguilas, eigentlich noch Provinz Murcia, aber für mein Gefühl bin ich in Andalusien. Ich habs geschafft. Bin nicht gestorben, bin mit meinem Schiff nirgends angestoßen, kann jetzt rückwärts anlegen (römisch-katholisch) und habe einen neuen Freund, meine Selbststeueranlage. Ohne die hätte ich die Reise nie machen können.
(...) Ich werde in jedem Falle hier bleiben. Die Gegend ist im Sommer wunderbar. Ich war hier schon mal. Es gibt zahlreiche Buchten zum Ankern und der Sommer ist nicht so heiß wie im Backofen von Almeria. Die Eltern von M. haben hier ein Haus und verbringen den Sommer hier. Da könnte ich ab und zu mal Croquetas essen gehen. Aguilas ist ein rühriges Städtchen. Der Tourismus fast nur spanisch. (...)
Es gibt noch ein Argument, warum ich nicht weiterfahre. Das nächste Cap, Cabo de Gata, wo das Alboranmeer anfängt, ist zur Zeit sehr stürmisch. Ich müsste tagelang warten, um die Passage zu machen. Auf dem Weg dorthin gibt es kaum Häfen.
Und das andere Argument ist, ich kann nicht mehr. (...) Endlich konnte die wochenlange Anspannung mal losgelassen werden. Ich habe sehr viel Angst gehabt auf dieser Reise. Sturm gehabt, dichter Nebel in einem Gebiet, wo große Dampfer fahren, hatte Motorschaden und musste unter Segel in den nächsten Hafen.
Aber ich hatte auch sehr viele glückliche Stunden, besonders wenn ich mit der Luna weit draußen auf dem Meer war und stundenlang dahingetuckert bin. GPS im Auge, Selbststeueranlage kontollieren, mit dem Kompasskurs vergleichen, Umschau halten nach anderen Schiffen ... kein schwerer Job bei leichtem Seegang und wenig Wind.
Apropos Wind, hatte 90% der Reise Gegenwind. Bin fast nie gesegelt, alles unter Motor.“

Du bist über 1200 Kilometer weit gefahren, seit du den Hafen bei Marseille verlassen hattest. Trotzdem zog es dich weiter nach Andalusien.
Im nächsten Jahr fuhrst du durch die Straße von Gibraltar in den Atlantik. In der Bucht von Cadiz, in dem verschlafenen Touristenort Rota suchtest du dir einen Liegeplatz. Von dort ging es dann weiter nach Chipiona.
Am 9.März 2012 schriebst du:
“Es ist hier atemberaubend schön, jeder Sonnenaufgang glasklar, selten ein Wölkchen, trocken, und in der Mittagszeit sommerlich warm. Die Stadt ist voller kleiner Bars mit leckeren Tapas, eine Markthalle lädt ein zum überschwänglichen Kochen; hier ist das Iberische Schwein zu Hause, das Fleisch und alle Produkte drumherum eine Köstlichkeit. Und die Meeresfrüchte!
Chipiona liegt an der Mündung des vielbesungenen Guadalquivir, eine fruchtbare Ader, die sich durch ganz Andalusien zieht, an Städten wie Sevilla und Cordoba vorbei. Nördlich von hier, man kann es mit bloßem Auge sehen, liegt Huelva, die einzige Provinz Andalusiens, die ich noch nicht kenne. Dann biegt die Küste nach Westen ab und man ist an der Algarve in Portugal. Alles nur Entfernungen einer Schiffstagesreise.
Ich glaube, hier ist einer der schönsten Orte unserer Welt.“

((Einige dieser Orte, lieber Michael, kenne ich, und ich stelle es mir wunderbar vor, dort zu leben und ab und zu aufs Meer hinauszufahren und einen Segeltörn zu machen. Und deshalb weiß ich nicht - und werde es wohl nie erfahren -, warum du dann dem Meer den Rücken kehrtest und in einen Flusslauf hineinfuhrst, so weit hinein ins Landesinnere, dass es eine Schiffstagesreise gebraucht hätte, um wieder am Meer zu sein. Es war eine Reise, die dich von Köln aus in immer größere Gewässer geführt hat, aus dem Engen ins Weite. Und dann fuhrst du den Guadalquivir hinauf...))




Michael über sein LEBEN auf dem SCHIFF

((Mail vom 10.9.2012))

Lieber Frank,

ich habe die Küste verlassen und bin den Guadalquivir rauf gefahren. Die Luna liegt jetzt an einem Steg im Fluß, der mal 6 Std. in die eine, 6 Std. in die andere Richtung fließt. Ist halt ein Gezeitenfluß. Der Liegeplatz ist sehr schön, ruhig, fast idyllisch, rundum grüne Bäume, ich fühle mich sehr wohl hier. Das eigentliche Hafenbecken ist komplett verschlammt sodass ich mit meinem Tiefgang gar nicht rein kann. Es gibt 2 Bars, eine mit einfachem anständigen Essen, Mittagsmenue 6 Euro. Ich bin jetzt fast 2 Monate auf meinem Schiff und genieße jeden Tag, ich sage mir, mach eine Auszeit, und die braucht Zeit. Hatte Besuch von Werner und Peter, 2 Freunde aus der Bundeswehrzeit, gleichaltrig, (...). Super Gespräche und Diskussionen. Dann waren die beiden E. wieder da und das war super. Ich hoffe Du lernst sie mal kennen. Das war alles noch in Chipiona. Seit 5 Tagen bin ich nun hier wo die Luna für ein Jahr liegen bleibt, Jahresbeitrag bereits bezahlt. Das Dörfchen hinter dem Hafen heißt Gelves, einfach sympathisch. Sevilla ist drei Km nördlich, gute Busanbindung, außerdem Auto und Fahrrad stehen zur Verfügung. Um Sevilla habe ich mich noch nicht gekümmert, das braucht mehr Zeit, möchte erst mal meine nahe Umgebung kennen lernen. Die Menschen hier kennen sich alle, dörflich, trotzdem diese ungemein offene sevillanische Art. Alle kommen auf mich zu und sind neugierig auf mich. Wer ist der dunkelbraune Fremde mit den zu langen zotteligen Haaren, der (...) stundenlang am Computer schreibt? Ich habe den Luxus mir Zeit zu lassen, oder besser ausgedrückt, ich erlaube mir den Luxus. (...) Aus heiterem Himmel, ich habe noch nicht gebaggert, kommt eine Anfrage vom Sinfonieorchester der SWR, ein Konzert in Donaueschingen mit zu spielen. Deswegen komme ich im Oktober nach Deutschland zurück. Versuche dann noch ein Treffen mit meiner neuen Kammermusikgruppe zu organisieren um Aufnahmen zu machen damit ich was in der Hand habe wenn ich die Gelegenheit habe mit Veranstaltern zu sprechen. Sevilla ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, wäre der Hammer hier was auf die Beine zu stellen, (...) überhaupt, ich glaube baggern hilft nichts, ich muß einfach gut drauf sein, dann schicke ich automatisch meine positiven Energien rum und Gelegenheiten ergeben sich. Viele Entscheidungen stehen noch vor mir, Auto hier lassen oder nach Deutschland, Baß hier lassen oder nach Deutschland, Wohnsitz einrichten in Deutschland, aber wo??? Ich lass es einfach locker kommen.

In diesem Sinne, herzliche sevillanische Grüße,

Michael



((Mail vom 22.9.2012))

(...) In Gelves fühle ich mich inzwischen wie zu Hause. Die Ablenkung ist groß. Der Hafen ist sehr klein und es gibt nur zwei Bars, d.h. ich treffe immer wieder Menschen, die ich schon sehr gut kenne (...).
Da ist z.B. Joachim der vor 25 Jahren nach Spanien ausgewandert ist. Seemann von Beruf und unterrichtet Seeschifffahrt in Alicante (...). Ich habe noch nie jemanden getroffen der in allen seemännischen und technischen Dingen so bewandert ist wie er. Ich kann wahnsinnig viel lernen und frage ihn dementsprechend Löcher in den Bauch, und er freut sich sein Wissen weitergeben zu können.
Außer den Leuten die hier auf ihren Schiffen leben, gibt es noch die, die in den umliegenden Häusern wohnen. Die kenne ich im Wesentlichen auch schon alle. Das alles hier macht mir den Eindruck einer großen Familie.
Ich bin sehr glücklich hier.
(...)
Hier kommen die ersten Anzeichen von Herbst auf, Nebel über dem Fluß am Morgen, ab und zu mal auch bedeckt, was die Mittagssonne wieder einfach wegwischt, aber kühler (bis 30 Grad mittags).



((Seite wird fortgesetzt. Bitte nutzt das "Kondolenzbuch", wenn ihr etwas festhalten wollt, ein Gefühl, eine Erinnerung. Oder sendet eure Texte oder Fotos, z.B. zu einem bestimmten Lebensabschnitt von Michael, an frank-griesheimer@t-online.de))



Geschenk Am 25.08.2016 von Oliver Schmid angelegt.
Geschenk Am 13.12.2015 von Oliver Schmid angelegt.
Geschenk Am 12.07.2015 von Oliver Schmid angelegt.
Geschenk Am 16.12.2014 von Oliver Schmid angelegt.
Geschenk Am 08.09.2014 von Oliver Schmid angelegt.
Geschenk Am 13.01.2014 angelegt.
Geschenk Am 17.11.2013 angelegt.
Geschenk Am 26.10.2013 von Gedenkseiten.de angelegt.
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