Konrad Riepe

Konrad
Riepe

20.05.1938
Landsberg in O-S
-
23.03.2020
Bestwig

stimmungsbild
ZurückEine brennende Kerze: Kerze flieder lang
Erinnerungen sind Spuren im Sand des Lebens

Von Lydia 26.03.2020 um 00:40 Uhr | melden

Ich erinnere mich daran, dass Onkel Konrad und ich eine kurze Phase in meiner Kindheit unter einem Dach lebten. Nach seiner Heirat mit Tante Brigitte zogen sie bei uns ein. Es war sicher beengt - die beiden bewohnten gerade mal zwei Zimmer, eine Kochküche und ein Bad. Oma, Opa, mein Bruder und ich wohnten unten, und zumindest von mir kann ich sagen, dass ich mit meiner nicht ganz ruhigen Art wenig zum häuslichen Frieden beigetragen hatte.

In dieser Zeit war Onkel Konrad öfters im Garten, er spielte mit der Nachbarin Federball auf dem Hof oder auf der Straße, und ich hoffte stets, dass er mit mir Fangen spielen würde - er war Werfer und Fänger zugleich, ich war der Ball. Wenn er das tat, dann ausschließlich mir zu liebe!

Irgendwann sind sie nach Bestwig gezogen, und ich konnte das ohnehin für mich unverständliche Wort Mittagsruhe wieder aus meinem Vokabular streichen.

Von da an kam er mit seiner Familie immer wieder zu Familienfeiern zu Besuch. Dann wurde in unserer guten Stube Kaffee getrunken und zu Abend gegessen. Nachmittags gab es reichlich Torte, darunter immer eine Schwarzwälder Kirschtorte, und abends Brot und Aufschnitt mit Würstchen und Kartoffelsalat. Regelmäßig nach dem Essen schob Brigitte ihre Unterlippe nach vorne und oben, um sich so selber Luft ins Gesicht zu pusten. Oftmals nahm sie zusätzlich ihre Hände zu Hilfe. Dann wusste ich was sie als nächstes zu Onkel Konrad sagte: Komm Konni, wir machen einen Spaziergang,! Das taten sie stets unverzüglich.

Später einmal hatten sie sich auf das Abenteuer eingelassen, mich für ein paar Tage in den Ferien zu sich zu holen. Sie wohnten damals in einer Erdgeschosswohnung direkt am Bahnhof in Bestwig.

Ich erinnere mich sehr gut an ihr Wohnzimmer. Es war groß mit einer braunen Schrankwand, und Onkel Konrad saß auf dem Sofa auf seinem Stammplatz, trank Kaffee mit Milch und Zucker und rauchte HB. Auf dem Wohnzimmertisch standen daher immer eine Thermoskanne mit Kaffee, ein voller Aschenbecher, Zigaretten und ein Feuerzeug. Das Feuerzeug mochte ich, es hatte eine interessante Form und machte beim Aufklappen schöne Klackgeräusche. Wenn man es anmachte, roch es nach Benzin.

Rechts neben Onkel Konrads Stammplatz stand auf und in einem Sideboard lauter Funkquipment und ein Schachspiel. Es muss für ihn frustrierend gewesen sein, dass ich relativ fix die Bedeutung der Schachfiguren und die Regeln des Spiels begriff, aber dennoch wenig Interesse für das Schachspiel selbst zeigte.

Er beschäftigte sich ausgiebig mit dem Hören von Funkunterhaltungen und tauschte sich mit anderen Funkern aus. Erstaunlicherweise erkannte er sie trotz der Störgeräusche alle an ihrer Stimme. Ich glaube, er kannte alle Funker in seiner Umgebung. Auch für diese Leidenschaft zeigte ich wenig Interesse. Ich erinnere mich, dass er vergeblich versuchte, mir den Sinn des Ganzen zu vermitteln. Damals als Kind war ich mehr fasziniert von dem Wohnzimmerfenster. Zu Hause war ich es gewohnt, ein Stockwerk an der Dachrinne hoch und runter klettern zu müssen, wenn ich unbemerkt raus wollte - in Bestwig dagegen war es ganz einfach nach draußen und wieder rein zu gelangen. Das tat ich gerne, auch spät abends, um am Bahnhofsvorplatz mit den dort lebenden Jugendlichen abzuhängen. Natürlich blieb es nicht unbemerkt, aber Onkel Konrad schalt mich deswegen nicht, und ich war ihm dankbar, dass er mir keinen Stress machte.

Meine Beziehung zu Onkel Konrad war distanziert. Abgesehen vom Rauchen hatten wir keine gemeinsamen Interessen. (Wenngleich damals die Raucher die Regeln des Miteinander bestimmten, so wäre es doch übertrieben, von gemeinsamen Interessen zu sprechen. Doch war ich, wenn Tante Brigitte über schwarze Tapeten und über das Rauchen im Allgemeinen schimpfte, stets auf seiner Seite.)

Onkel Konrad hatte schon während meiner Kindheit begonnen, sich eine 10 cm dicke extra Außenhaut zuzulegen. Darunter verbarg er eine wache und klare Wahrnehmung. Oft beteiligte er sich nur wenig an Unterhaltungen, aber er hörte interessiert zu und nahm sehr genau wahr, was um ihn herum geschah. An den daraus gewonnenen Überzeugungen hielt er auch dann fest, wenn in seinem Umfeld andere Sprach- und Interpretationsregeln vereinbart wurden. Dies fiel mir so manches mal auf, wenn wir über vergangene Ereignisse in Natingen oder Germete sprachen. Seine Sicht war ausgesprochen klar, direkt und unverblümt. Er war es wohl auch gewohnt, dass man seine Sichtweise nicht teilte. Das wurde mir immer dann klar, wenn er sich darüber wunderte, dass ich das eine oder andere genauso beurteilte wie er.

Trotzdem waren wir uns irgendwie fremd. Er stammte aus einer anderen Zeit. Onkel Konrad ist vor Kriegsbeginn geboren, und er verbrachte seine gesamte Kindheit unter den für mich unvorstellbar irren Bedingungen des Krieges. Wie viele Kinder seiner Generation hat er gelernt, anderen möglichst wenig Arbeit zu machen, sich anzupassen, mit wenig zufrieden zu sein und seine Bedürfnisse nicht zu äußern. Irgendwie war das für mich immer spürbar - zumindest habe ich mir seine ruhige und zurückhaltende Art ein Stück weit so erklärt.

In den letzten Jahren haben wir uns immer nur an Weihnachten in Germete gesehen. Und immer war mir bewusst, dass es das letzte Mal sein könnte. Trotzdem ist es traurig, wenn das Mögliche zur unausweichlichen Gewissheit wird.